nominiert!

Am Donnerstag wird auf der Frankfurter Buchmesse zum dritten Mal der Deutsche eBook Award verliehen. Die Preisverleihung findet um 16 Uhr in Halle 4.1 am Stand N91 statt. Nominiert ist unter anderem ein eBook, das ich selbst in diesem Frühjahr mitherausgeben durfte, und zwar dieses:

DIESER JUNGE. DIGITAL TOES von Crauss. (Edition Binaer im Verlagshaus Berlin, 2016)
DIESER JUNGE. DIGITAL TOES von Crauss. (Edition Binaer im Verlagshaus Berlin, 2016)

»Der Deutsche eBook Award«, so heißt es auf dessen Website, »ist kein Literaturpreis, sondern ein Produktpreis«, mit dem »die schönsten deutschsprachigen eBooks ausgezeichnet [werden]. Das Ziel ist es, die Leistungen von Verlagen und Selfpublishing-Autoren im Bereich innovativer Produktentwicklung und kreativer Gestaltung zu würdigen.«

Das ist erläuterungsbedürftig, und es gibt mir die Gelegenheit, ein wenig über diese Reihe zu erzählen, die das Verlegerteam des Verlagshauses Berlin zusammen mit mir und der Designerin Corinna Northe entworfen und dieses Jahr zur Leipziger Buchmesse erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt hat.

Was also ist die Edition Binaer?

Kurz gesagt: Eine mögliche Antwort darauf, wie Lyrik im digitalen Raum gestaltet sein kann. Und die Suche nach dieser Antwort hatte uns vor anderthalb Jahren zusammengebracht.

Die Bücher des Verlagshauses sind bekannt für ihre ästhetisch ebenso ansprechende wie anspruchsvolle typographische und illustratorische Gestaltung und wurden dafür auch schon prämiert. Schöne Texte, zumal Lyrik, in schöner Aufmachung, genau das wollte man gerne auch ins digitale Medium hinüberretten – und lief damit prompt in diverse technische Restriktionen hinein. Denn was ein eBook kann (und wir reden hier nicht von PDFs, sondern von reflowable eBooks, also ePubs), das hängt in erster Linie davon ab, was die Lesesoft- und -hardware des Rezipienten vermag, und das ist nun einmal höchst unterschiedlich: Wer ein Tablet hat, zumal ein iPad, kann darauf nicht nur Text und farbige Bilder, sondern auch Audio und Video in bester Auflösung genießen – wer hingegen einen tolino shine oder ähnlichen eReader mit E-Ink-Display sein eigen nennt, dem geht das meiste davon leider ab.

Nun gut, verzichten wir also auf Bilder, Farben und Töne, konzentrieren wir uns auf den reinen Text! Aber auch der wird nicht von allen Geräten und Programmen gleich interpretiert, die Textgestalt schwankt beträchtlich – und dann kommt beim eBook immer auch noch ein weiterer, unberechenbarer Faktor hinzu: der Leser, der selbst Einstellungen vornehmen kann, um sich das Lesen angenehmer zu gestalten und den Verlegern schöner Literatur Kopfschmerzen zu bereiten. Schriftgrößenverstellung und Wahl einer anderen Schrift- oder Absatzart können einem zarten Gedicht schon übel zusetzen.

Vermaledeite Technik! Da wünscht man sich als Verleger oder Herausgeber schon einmal gerne die guten alten Zeiten zurück, in denen es dieses ganze Gedöns noch nicht gegeben hat. Zum Beispiel das Mittelalter. Schöne Handschriften auf kostbarem Pergament, so wie hier:

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Walther von der Vogelweide – Große Heidelberger Liederhandschrift (Codex Manesse), ca. 1300–1340.

Pergament war aufwendig in der Herstellung, daher teuer und stets Mangelware. Also sparte man, indem man dasselbe Pergament durch Abschaben der Beschriftung wiederverwendbar machte und den zur Verfügung stehenden Platz optimal nutzte. Wer braucht schon Zeilenumbrüche! Da lässt sich doch bestimmt was Ökonomischeres finden …

walther-2
Na, seht ihr’s?
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Jetzt besser?

Die kleinen rautenförmigen Punkte, hier rot eingefärbt, sind Umbruchzeichen. Sie stehen im Text dort, wo ein Vers endet und ein neuer beginnt. Das brachte uns auf Ideen …

Wenn die Schriftgrößenverstellung auf einem eReader einen Vers zum Umbruch zwingt, wo kein Umbruch vorgesehen ist, warum dann nicht an genau dieser Stelle ein Zeichen setzen, das den Leser darüber informiert und ihm somit Orientierung bietet? Und wenn man schon dabei ist, warum nicht gleich noch weitere Zeichen einführen, etwa für Einzüge, Aufzählungen, Block- und Flattersatz, kurz: Elemente, die im eBook aufgrund erwähnter Restriktionen oft nicht adäquat dargestellt werden. Oder gar nicht dargestellt werden können, weil sie nicht den Text selbst, sondern dessen Vortrag betreffen und kennzeichnen: Betonungen, Lesegeschwindigkeit, Tonhöhe …

So entstand der Lyrik-Code:

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Lyrik im digitalen Raum neu denken: der Lyrik-Code

Das Gedicht, das hier im Bild mit Lyrik-Code wiedergegeben ist, stammt übrigens aus dem nominierten Band von Crauss. Mehr dazu inklusive einer Rezension aus der FAZ findet sich hier auf der Homepage des Autors und natürlich, zusammen mit weiteren Pressestimmen, auf der Verlagsseite, wo man das eBook für schlappe 6,99 € auch gleich kaufen kann.

Der Lyrik-Code ist aber nicht nur als Orientierungsmittel für Leser gedacht – er ist auch ein Angebot an Autoren, sich seiner bereits beim Schreiben zu bedienen und somit, wie es in der Verlagswerbung treffend heißt, »ganz neue Räume zu entdecken«. In den ersten vier eBooks, die zur Leipziger Buchmesse erschienen sind, war dies schon aus Zeitgründen nicht möglich, weshalb darin auch die oben erwähnten Betonungszeichen noch nicht verwendet werden. Die Autoren der nächsten Bände werden sich hoffentlich bereits aktiv der zur Verfügung stehenden Zeichen bedienen und weitere Anwendungsmöglichkeiten erschließen. Zumindest wäre das ganz im Sinne der Erfinder, die den Lyrik-Code bewusst als flexibel erweiterbares System entworfen haben. Man darf also gespannt sein.

editionbinaer2016
Die ersten vier eBooks der Edition Binaer, erschienen im Frühjahr 2016

Allerdings ist der Lyrik-Code nicht das einzig Neue, das die Edition Binaer auszeichnet.

Zunächst einmal handelt es sich bei den eBooks nicht um digitale Versionen von Büchern, die so auch im Print erhältlich sind, sondern es gibt die Texte in dieser Zusammenstellung nur als eBook. Dabei enthält jeder Band neben den zumeist lyrischen Texten seiner Autoren auch Begleittexte derselben oder anderer Autoren. So sind etwa die Gedichte von Crauss über Liebe und Begehren nicht nur mit gelegentlichen Anmerkungen des Autors versehen, sondern werden in einem Nachwort von Matthias Fallenstein in ihren literaturhistorischen Kontext gerückt. Die Begleittexte und Materialien (neben Essays etwa auch Interviews, Produktionsnotizen, Fotografien) tragen somit zum tieferen Verständnis der Gedichte bei oder treten mit ihnen sogar in den Dialog, wie in den eBooks von Jan Kuhlbrodt und Martin Piekar und von Lea Schneider und den Brüdern Severin.

Dazu vielleicht demnächst einmal mehr. Jetzt heißt es erst einmal Daumen drücken für den Deutschen eBook Award, dass es nicht nur bei der Nominierung bleibt! 🙂

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